Die Digitalisierung wird häufig noch so verstanden, dass die bestehenden Prozesse und Dokumente digital abgebildet und damit maschinenlesbar gemacht werden. Diese Vorgehensweise führt jedoch zum Chaos. Digitalisierte Prozesse und Dokumente müssen zunächst richtig interpretiert werden, damit daraus Aktionen abgeleitet werden können. Unterbleibt dieser Schritt, führt der Computer auch die unsinnigsten Aktionen aus. Die Korrektur muss dann nachträglich, mit hohem Aufwand erfolgen.

Oder wie es Thomas Engel es ausdrückt1GEMIMEG-II — How metrology can go digital:

Die vollständige Digitalisierung erfordert eine klare, systematische und stringente Semantik für den gesamten Inhalt eines Dokuments. Ein solches formales System ist notwendig, um domänenspezifische Informationen eindeutig zu strukturieren und den Inhalt des Dokuments maschinenlesbar und schließlich auch maschinenausführbar zu machen. Voraussetzung dafür ist, dass alle Fachbegriffe präzise und unmissverständlich definiert und spezifiziert werden. Ein solches semantisches System für einen bestimmten Bereich wird Ontologie genannt. Die Ontologie stellt Beziehungen und/oder Hierarchien zwischen den semantischen Elementen her. Die Qualität des semantischen Systems und der zugehörigen Ontologie ist von entscheidender Bedeutung für die sichere Übertragung und Übermittlung aller Informationen eines Dokuments zwischen einer Datenquelle und einem Datennutzer, um Missverständnisse oder Fehlinterpretationen zu vermeiden. Das bedeutet, dass neben der digitalen Darstellung eines Dokuments als strukturierte Datendatei – wie im Beispiel des pdf – auch eine semantische Beschreibung aller verwendeten formalen und technischen Begriffe vorhanden sein muss, um den Inhalt der einzelnen Elemente des Dokuments genau zu definieren und zu spezifizieren.

Beispielhaft dafür ist der digitale Kalibrierschein, wie er im Projekt GEMIMEG II entwickelt wurde.

Daher benötigt der digitale Kalibrierschein (DCC) eine vollständige und effiziente semantische Beschreibung mit einer entsprechenden Ontologie für alle im digitalen Dokument enthaltenen Begriffe und Informationen. Unter dem Gesichtspunkt der Globalisierung ist es vorteilhaft, ein gemeinsames semantisches System für den DCC zu haben, das alle Bedürfnisse und Anforderungen von Messtechnikern auf der ganzen Welt unterstützt. Würden mehrere semantische Systeme oder Ontologien existieren, wäre eine zusätzliche Übersetzungssoftware als Middleware erforderlich, um einen DCC von einer Ontologie mit einer bestimmten Semantik in eine andere Ontologie mit der entsprechenden Semantik zu konvertieren. Um zusätzlichen und fehleranfälligen Aufwand im Zusammenhang mit Übersetzern zu vermeiden, ist ein gemeinsames international anwendbares DCC-Semantiksystem, zu dem alle Beteiligten beitragen können, für Industrie-4.0-Anwendungen von Vorteil.

 

Die semantische Struktur, die den digitalen Kalibrierungsdokumenten zugrunde liegt, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Maschinen die Daten lesen, verstehen, interpretieren und entsprechend handeln können. Sie ist eine zwingende Voraussetzung für kollaborative oder autonome Interoperabilität auf System- und Datenebene. Folglich können und müssen alle Nutzer dieser semantischen Struktur das richtige Strukturelement auswählen, um die jeweiligen Werte und/oder Einheiten und/oder Daten selbst zuzuordnen oder zu lesen. Ein Nutzer oder Abonnent der Informationen eines solchen Datensatzes muss sich darauf verlassen, dass die erwarteten und richtigen Informationen dem jeweiligen Strukturelement gemäß seiner Definition zugeordnet wurden. Daher sind die Qualität des Vokabulars und die Präzision der zugehörigen Definitionen die Schlüsselelemente für Benutzer und Programmierer, um Informationen richtig zuzuordnen und abzurufen. Wenn Menschen mit Daten interagieren, können sie in der Regel anstehende Fragen im direkten Austausch klären. Maschinen nehmen alle Werte für das jeweilige Strukturelement, dem sie zugeordnet sind, als gegeben hin und führen ihre Codes einfach mit den Werten aus, wie sie aus der Datei gelesen wurden.

Allerdings wäre es verfehlt, alles einer starren Ontologie zu unterwerfen. Es muss noch Raum für Anpassungen, fallweise Ergänzungen bleiben. Es ist daher wichtig,

… dass die Digitalisierung des Kalibrierungsbereichs die lokale oder regionale Aspekte, wie Informationen in einem Kalibrierschein dargestellt werden. Typische Unterschiede betreffen die metrologischen Einheiten vom internationalen Einheitensystem SI bis hin zu verschiedenen imperialen Einheiten, die Zuordnung und Darstellung von Messtoleranzen und Unsicherheiten und manchmal auch das Vokabular oder die Fachbegriffe. Ein wirklich digitales Kalibriersystem muss daher einerseits auf einer gemeinsamen Semantik und Ontologie aufbauen, andererseits aber auch offen und flexibel genug sein, um auch regionale, lokale oder sogar anwendungsspezifische Aspekte zu unterstützen. Alle Begriffe, die sich auf spezielle Aspekte beziehen, müssen ebenfalls in die semantische Struktur aufgenommen werden, um eine internationale Anwendbarkeit zu gewährleisten. Daher wird ein internationaler und offener Ansatz, moderiert von einer Gruppe vertrauenswürdiger Betreuer, bevorzugt und vorgeschlagen, um ein gemeinsames digitales DCC-Ökosystem zu schaffen. Dies könnte der effektivste und ressourceneffizienteste Weg sein, um ein vielseitiges internationales Ökosystem für die digitale Metrologie zu schaffen.

Weitere Informationen:

Semantic Technologies for Describing Measurement Data in Databases

Handling Live Sensor Data on the Semantic Web (online abrufbar)

AN INTRODUCTION TO LINKED DATA AND THE SEMANTIC WEB

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