Ausgangssituation 

Das Unternehmen Jowat SE (ca. 1.250 Beschäftigte) ist Anbieter von Klebstofflösungen für die Möbel-, Textil- und Automobilindustrie. Die Produktion spezieller reaktiver Schmelzklebstoffe ist ein komplexer chemischer Prozess, da eine Vielzahl von Rohstoffen auf kontrollierte Weise reagieren müssen.

Problemstellung 

Für die Klebstoffherstellung gelten hohe Qualitätsanforderungen, die Einschätzung des Prozesszustands ist dafür essenziell. Eine Online-Echtzeitüberwachung der relevanten Messdaten im Prozess ist bis dato nicht möglich, stattdessen werden die Werte durch zeit- und arbeitsintensive Auswertung von Proben im Labor ermittelt.

KI-basierte Lösung

Gemeinsam mit dem Fraunhofer IEM hat Jowat SE einen virtuellen Sensor1 …wurde auch bei Jowat SE zunächst die notwendige Datenbasis geschaffen und eine große Menge an historischen Daten aus einem Zeitraum von drei Jahren gesammelt. Dies umfasst Maschinen- und Sensordaten aus dem Reaktor, wie zum Beispiel die Temperatur. Produktinformationen, beispielsweise Produktnummern und Rezeptparameter, sowie zugehörige Ergebnisse aus Labormessungen. Eine Herausforderung ist dabei das Erstellen einer sauberen Datenbasis, also die fehlerfreie Kombinierung der verschiedenen Datenquellen. Als Zielgröße wurde im Gespräch mit Prozessexperten die Viskosität ermittelt. Diese Größe ist entscheidend für die Eigenschaften des Klebstoffs, während des Herstellungsprozesses allerdings nur durch Laborproben messbar. Für den Auswertealgorithmus kamen künstliche neuronale Netze zum Einsatz. Diese können Zusammenhänge aus vorgegebenen Trainingsdaten erlernen. Tatsächlich konnte die Viskosität aus den messbaren Größen am Reaktor abgeleitet werden. Das künstliche neuronale Netz erfüllt somit die Funktion eines virtuellen Viskositätssensors. Diese virtuelle Sensorik – derzeit im Piloteinsatz – ermöglicht die Onlineüberwachung während des Herstellungsprozesses. Jowat SE kann also, bei ähnlicher Messgenauigkeit, auf die je 20-minütigen realen Labormessungen verzichten.2Forschungsprojekt: Virtueller Zuverlässigkeitssensor , in: #PRODUK- TIONS- ZUSTAND entwickelt, mit dem die Produktviskosität, also die Zähigkeit des Klebstoffs, während des Produktionsprozesses online überwacht werden kann. Die virtuelle Sensorik nutzt vorhandene Labormessungen der Viskosität sowie Daten aus dem Produktionsprozess, die indirekt Aufschluss über den Reaktionsfortschritt und die Produktviskosität geben (z. B. Betriebsdaten des Reaktors). Dabei wurden maschinelle Lernverfahren eingesetzt, um den Zusammenhang zwischen den Messgrößen aus dem Prozess und der Viskosität zu erlernen. Das resultierende Modell kann die Labormessung hinreichend gut vorhersagen3Vgl. dazu: Ersetzt KI die traditionelle Messtechnik?.

Umsetzung 

Voraussetzung für die Anwendung maschineller Lernverfahren ist eine Menge an Trainingsdaten, die Erfahrungswerte aus der Vergangenheit darstellen. Zunächst wurden dafür Messgrößen am Klebstoffreaktor identifiziert, die im Zusammenhang mit der Viskosität stehen (z. B. Strom oder Drehzahl des Antriebsmotors). Die zugehörigen historischen Maschinendaten aus dem Produktionsprozess wurden mit den Labormessungen aus der Qualitätsprüfung miteinander verknüpft. Dabei wurde auf historische Daten aus einem Zeitraum von drei Jahren zurückgegriffen. Nach dem Training des maschinellen Lernverfahrens anhand der historischen Daten konnte das resultierende Modell die Viskosität für mehrere Produktgruppen vorhersagen, die Messgenauigkeit entspricht dabei in etwa Labormessungen. Das Modell wurde anschließend als virtuelle Sensorik in den Produktionsprozess integriert. Somit können die Produkteigenschaften nahezu in Echtzeit angezeigt und die Anzahl der Laborproben für die Qualitätssicherung deutlich reduziert werden. Weiterhin ist eine Vorhersage der Viskosität auch für einen längeren zeitlichen Horizont möglich.

Wertschöpfung

Mit der virtuellen Sensorik wurde zunächst die Transparenz über den Fertigungsprozess erhöht. Dadurch können Ausschussmengen minimiert und die Prozesssicherheit gesteigert werden. Der Aufwand für zeitintensive Labormessungen kann dadurch deutlich reduziert werden. Die Vorhersage des künftigen Prozessverlaufs erlaubt zudem eine gezieltere Prozesssteuerung, dadurch kann die Wirtschaftlichkeit in der Klebstoffherstellung gesteigert werden.

Quelle: Prozesstransparenz in der Klebstoffproduktion

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